
Rund 60 km westlich von München und wenige Kilometer nördlich von
Buchloe stand die größte Kurzwellensendeanlage Deutschlands. In ihrer
Art als sternförmige Anlage mit Vorhangantennen war sie auch eine der
größten weltweit.

Der Stationsname Wertachtal wurde gewählt, da der Fluss Wertach knapp
westlich (im Bild links) vorbei fließt. Die Anlage steht auf einer
weiten früher sumpfigen Ebene, womit eine gute Bodenleitfähigkeit
gegeben ist, was für die Abstrahleigenschaften auch auf Kurzwelle
vorteilhaft ist.
Die Sendeanlage entstand 1970/71
im
Vorfeld der Olympischen Sommerspiele in München 1972 und nimmt
eine Fläche von rund 134 Hektar ein, die eingezäunt ist. Die
eigentlichen Antennenanlagen
beansprucht jedoch nur eine Fläche von 90 Hektar. Der Rest sind
landwirtschaftliche
genutzte
Schutzzonen, auf denen jedoch 2013 großflächig Photovoltaikanlagen
errichtet wurden.
Die
ursprüngliche Sendetechnik stammte von "AEG-Telefunken", die
Antennentechnik kam von "Brown-Boveri". Am 10. April 1972 begann die
"Deutsche Welle" mit Versuchssendungen über 4 Sender. Bis 1982 wurde die
Anlage bis auf 10 Sender vom Typ Telefunken SV2500 ausgebaut. 1987/88
folgten 6 weitere Sender vom Typ Telefunken S4005.

Quelle:
Wikimedia Commons,
Autor: Vincent Schriel (Eigenes Werk) [CC-BY-SA-3.0
(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]
Blick in die Senderhalle mit den 500 kW-Sendeeinheiten. Links der 2003
entwickelte DRM-taugliche 500 kW-Sender.
2003
wurde in einem Gemeinschaftsprojekt von T-Systems, Frauenhofer-Institut,
Telefunken Sendertechnik und Radioindustry Zagreb der Prototyp eines
DRM-tauglichen 500 kW-Senders mit der Bezeichnung S4050 entwickelt und
aufgestellt, der in DRM mit 200 kW betrieben werden kann, was der
Wirkung von ca. 800 kW AM-Leistung entspricht. 2008 wurden nach dem
Verkauf der Sendestation Jülich (Ende 2010 abgerissen) 2 Sender vom Typ
Telefunken S4001 (100 kW, Baujahr um 1990) nach Wertachtal verlegt. 2008
standen damit insgesamt 16 Sender (14 x 500 kW, 2 x 100 kW maximale
Ausgangsleistung) zur Verfügung. Die 500 kW-Sender wurden jedoch vielfach auf
Wunsch der Mieter zur Kosteneinsparung mit nur 250 kW oder 125 kW
betrieben. Zudem wurden die 4 Sender vom Typ S4005 von der aufgelassenen
Sendestation Zeewolde/Flevoland in den Niederlanden nach Wertachtal
verlegt und 2 davon auch wieder betriebsbereit gemacht.
Die Anlage wurde bis Anfang 2008 von der "Deutschen Bundespost" und
deren Rechtsnachfolgern, zuletzt "T-Systems" betrieben, ehe sie an die
"Telediffusion du France" verkauft wurde, welche Wertachtal gemeinsam
mit der Sendeanlage in Nauen bei Berlin unter der Gesellschaft "Media
Broadcast GmbH" betreibt.
Am 31. Dezember 2006 beendete die "Deutsche Welle" ihre
Kurzwellensendungen aus Wertachtal. Danach strahlte man nur mehr
Programme für zahlreiche vor allem religiöse Programmveranstalter aus.
Da auch diese Anbieter ihre Kurzwellen-Ausstrahlungen laufend verringern
und damit ein kostendeckender Betrieb der großen Anlage nicht mehr
möglich war, erfolgte im Laufe des April 2013 die Verlegung der Sendungen aus
Wertachtal auf andere Standorte (Nauen, Issoudun/Frankreich, Moosbrunn/Österreich
und Kostinbrod/Bulgarien) und damit die Stilllegung der mit Anfang
Mai 2013, welche sich bald als endgültig herausstellte.

Die Antennenanlage bestand aus 3 Armen, die von der Sendezentrale
ausgehen. Der westliche Arm war rund 600 m
lang, die beiden anderen hatten jeweils etwa 1300 m Länge. An den 29 bis
zu 125 m hohen Masten (19 hohe und 10 niedrigere Masten) waren insgesamt
60 Antennensysteme in Form sogenannter Vorhangantennen angebracht. Im
Bild der westliche Arm, dahinter ein Teil des südlichen Arms. Die
Antennen trugen Nummern, vom zentralen Sendergebäude weg gezählt: Nordarm 101-124, Südarm 201-223, Westarm 301-313.
Die Senderichtungen der Vorhang-Antennensysteme:
Anzahl Antennen-
systeme |
Pos. am Arm |
Reihen/Ebenen
von Dipolen |
Abstrahl-
richtung |
Zielgebiete |
3 |
Süd |
1 x
4/4+4/1, 2 x 4/4 |
30° |
Pazifik |
1 |
Süd |
1 x 1/2 |
55° |
Europ.
Russland |
9 |
Süd |
4 x
4/4+4/1, 4 x 4/4, 1 x 4/2 |
60° |
Osteuropa,
Russland, China, Ostasien |
1 |
Süd |
1 x 4/2 |
75° |
Südrussland,
Zentralasien |
6 |
Nord |
5 x 4/4,
1 x 4/1 |
90° |
Kaukasus-Region, Indien,
Südostasien, Australien |
7 |
Nord |
2 x 4/4+4/1, 3
x 4/4, 1 x 4/1 |
120° |
Östl. Mittelmeer,
Arabische Halbinsel |
1 |
West |
1 x 4/1 |
120° |
Balkan,
östl. Mittelmeer |
6 |
West |
6 x 4/4 |
150° |
Ostafrika, Südafrika |
3 |
Süd |
3 x 4/4 |
210° |
Westafrika |
6 |
Süd |
6 x 4/4 |
240° |
Südamerika |
5 |
Nord |
5 x 4/4 |
270° |
Nördl.
Südamerika, Karibik |
6 |
Nord |
6 x 4/4 |
300° |
Östl.
Nordamerika, Mexiko |
6 |
West |
6 x 4/4 |
330° |
Westl.
Nordamerika |

Blick aus Richtung Süden: Im Vordergrund ein Teil des südlichen Arms, im
Hintergrund der nördliche Arm.

Die hier abgebildeten Vorhangantennen ganz im Süden strahlten nur nach
Osten und wurden in einer späteren Ausbauphase errichtet.

Typische Anordnung der Dipole (grün, rot und violett) und des
Reflektornetzes (lila).
Zwischen jeweils 2 Masten waren in den meisten Fällen 3 Antennensysteme
aufgespannt, wobei eines für niedrigere Frequenzen und damit langen
Dipolen auf der einen Seite gespannt war und zwei für höhere Frequenzen
und damit kürzeren Dipolen
auf der anderen Seite der
Mastenfront gespannt waren. Dazwischen, also in etwa in der Achse der
Mastenlinie, war jeweils ein Reflektornetz gespannt.
54 Antennensysteme
bestanden aus jeweils 4 Reihen zu 4 Ebenen,
womit ein für die Fernversorgung idealer
Abstrahlwinkel von ca. 10° erreicht wurde. Der damit verbundene
Antennengewinn betrug ca. 21 dB, womit sich bei 500 kW
Senderausgangsleistung eine effektive Strahlungsleistung in die
Senderichtung von ca. 63.000 kW ergab. Der Abstrahlwinkel wurde jedoch
auch von der Höhe der untersten Dipolebene über Grund bestimmt. In Wertachtal
waren Antennen mit einer Höhe von 0,3-, 0,5- und 0,8-facher
Wellenlänge über Grund im Einsatz.
Die
hier violett eingezeichnete Antennenanordnung hatte 5 Ebenen, wobei jedoch
eine Ebene - in diesem Fall die 2. von unten - ein eigenes System mit
einer Ebene zu 4 Dipolen darstellte, welches alternativ für die
Nahversorgung verwendet werden konnte. In Wertachtal besaßen 7
Antennensysteme eine derartige zusätzliche Dipolebene.

Weitere 3 Antennensysteme besaßen 2 Ebenen (2 Systeme mit 4 Reihen, 1
System mit 1 Reihe) und erlaubten damit einen Abstrahlwinkel von ca. 20°.
Am Bild eine Richtantenne für (vermutlich) 49 m mit 2 Reusendipolen
übereinander (2 Ebenen zu 1 Reihe) mit Abstrahlrichtung 55° (Zielgebiet Russland).

Im Vordergrund ein Antennensystem mit 2 Ebenen zu 4 Reihen
und Abstrahlrichtung 75° (Zielgebiet Südrussland und Zentralasien). Die
abgedeckten "Rohre" im Vordergrund waren die Koaxialkabel zu den
Antennen. Wegen der großen übertragenen Leistung von 500 kW handelte es sich dabei
um Kabel mit einem Kupferrohr mit etwa 80 mm Durchmesser als leitendes
Element innen, das mit Distanzhaltern in
einem etwa 300 mm großen Kupferrohr
verlief. Die Kabel waren mit trockener Luft mit geringem Überdruck
gefüllt.

3 Vorhang-Antennensysteme besaßen nur eine Ebene mit 4 Faltdipolen,
womit der Abstrahlwinkel mit ca. 45° für die gerichtete Versorgung
europäischer Zielgebiete ideal war.

Vorhangantennen stellen einen idealen Kompromiss zwischen großer
Richtwirkung und geringem Aufwand dar. Größter Nachteil ist die geringe
Flexibilität.
Bei einer Vorhangantenne sind als Reusen (zur Erreichung einer größeren
Bandbreite) ausgeführte Dipole (meist Faltdipole) neben- und
übereinander angeordnet und an Seilen an den Tragmasten aufgehängt. Die
Dipole haben eine Länge, die etwas weniger als die halben Wellenlänge
der Mittelfrequenz beträgt, für welche die Antenne abgestimmt ist. Der
Stockungsabstand und der seitliche Abstand der Dipole beträgt jeweils
die halbe Wellenlänge.
Die Dipole erzielen die beste Wirkung auf jenem Band, auf das sie in
ihrer Länge abgestimmt wurden. Mit entsprechender Abstimmeinrichtung ist
jedoch ein Betrieb auch auf den 3 bis
4 benachbarten Bändern möglich.

Ein typischer gefalteter Reusendipol.

Bei den südlichen Vorhangantennen sowie offensichtlich später umgebauten
Antennen fanden sich abweichend etwas einfachere 4-Draht-Reusen. Hier
sind beiden Reusenarten zu sehen.

Das Prinzip der Signalanspeisung: Die Zuleitungen zu allen Dipolen einer
Reihe sind gleich lang, damit sich die zugeführten Signalströme alle in
der gleichen Phasenlage befinden. Andernfalls käme es zu einer
gegenseitigen
Signalauslöschung.
Die Aufteilung der Sendenergie auf die Dipolreihen mit notwendiger
Umwandlung des Widerstandes erfolgte über Transformationsleitungen am
Boden unterhalb der Antennen.

Die gleiche Zuleitungslänge erreicht man über „Umwege“, womit ein sehr
verwirrendes Netzwerk aus Drähten, Seilen, Isolatoren und Streben zur
Querübertragung entsteht.


Die Vorhangantennen und Reflektornetze werden am Boden montiert und dann
an den Masten hoch gezogen, wofür die Masten Umlenkrollen und Seilzüge
besitzen.

Durch phasenverschobene Anspeisung der Reihen ist es bei den
meisten Antennen möglich, die Abstrahlrichtung um 15° oder 30° nach links und rechts zu verschwenken.
Dazu dienten Phasenschieber, die sich in Kästen am Fuße der Antennen
befanden.
Abseits des dreiarmigen Vorhang-Antennensystems standen im Süden und
Westen des Geländes noch 7 Antennenanlagen für meist ungerichtete
Abstrahlung zur Verfügung (1 separate Vorhangantenne mit einer Ebene zu
4 Dipolen, 1 logarithmisch-periodische Antenne und 5 Quadrantantennen,
welche aus einem um 90° abgewinkelten Dipol bestanden und damit eine
annähernd gleiche Abstrahlung in alle Richtungen ermöglichten).

4 Quadrantantennen standen im Westen des Geländes. Am Bild im Vordergrund
eine Quadrantantenne für 49/41 m (Nr. 315), im Hintergrund links eine
Quadrantantenne für 31/25 m (Nr. 316), rechts eine für das 75 m-Band
(Nr. 317). Hier nicht zu sehen ist eine weitere Quadrantantenne mit 2
Ebenen (stand hinter dem Wald rechts).

Die Quadrantantenne für das 75 m-Band (Nr. 317)
wurde erst errichtet, als 1996 die
Sendestation Jülich von der "Deutschen Welle" aufgegeben wurde.

Eine Quadrantantenne für 49/41 m mit 2 Ebenen (Nr. 314), womit der
Abstrahlwinkel im Bereich 20 bis 45° an die Ausbreitungsbedingungen
angepasst werden konnte. Über diese Antenne wurde einst hauptsächlich die
traditionelle "Europa-Hausfrequenz"
6075 kHz
des deutschen Programms der "Deutschen Welle" gesendet.

Eine weitere Quadrantantenne für 49/41 m (Nr. 226) stand im Süden des
Geländes, das von Schafen beweidet wurde.

Eine horizontale logarithmisch-periodische Antenne (Nr. 224): 2
Dipolreihen bilden eine Fläche, wobei die Dipole auf der Gesamtlänge
logarithmisch immer länger werden. Damit besitzt diese Antennenform eine
große Bandbreite, jedoch keinen besonders hohen Wirkungsgrad. Der
Abstrahlwinkel beträgt ca. 20°, die Abstrahlrichtung ist 210° (Algier).
Ursprünglich wurden in Wertachtal 5
logarithmisch-periodische Antennen errichtet. Nur die hier abgebildete
blieb bis zuletzt bestehen.


Im äußersten Süden des Geländes befand sich eine separat stehende steil
strahlende (Nr. 225; 1 Ebene zu 4 Dipolen, die in 2 Systeme zu je 2
Dipolen auseinander geschaltet werden konnten) Vorhangantenne mit
Abstrahlrichtung 55° (Moskau). Diese Antenne wurde in einer späteren
Ausbauphase errichtet.

Panoramaansicht der Sendeanlage aus dem Südwesten.

Blick auf den südlichen Arm, im Hintergrund der westliche Arm.

"Verdichtete" Antennentechnik.

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