Rundfunksender in Bayern



 
Wertachtal, Bayern
Ein Nachruf
 

Im Herbst 2014 wurde die Kurzwellensendeanlage Wertachtal, eine der größten ihrer Art, die es in Europa gegeben hat, abgerissen. Dies erfolgte, da wegen den stetigen Rückgangs des Kurzwellenrundfunks die Sendeanlage nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden konnte und keine Perspektiven für eine künftige Nutzung erkennbar waren. Die Betreibergesellschaft "Media Broadcast" konzentrierte daher ihre Kurzwellen-Ausstrahlungen auf andere Sendeanlage mit neuerer Technik in Issoudun im Zentrum Frankreichs und Nauen bei Berlin.

Der nachfolgende Bericht beschreibt den Zustand, wie er im September 2012 bestand, als die Sendeanlage noch - in allerdings geringem Umfang ihrer ursprünglichen Möglichkeiten - betrieben wurde.

Bilder vom Oktober 2008, Juli 2012 und September 2012

Rund 60 km westlich von München und wenige Kilometer nördlich von Buchloe stand die größte Kurzwellensendeanlage Deutschlands. In ihrer Art als sternförmige Anlage mit Vorhangantennen war sie auch eine der größten weltweit.


Der Stationsname Wertachtal wurde gewählt, da der Fluss Wertach knapp westlich (im Bild links) vorbei fließt. Die Anlage steht auf einer weiten früher sumpfigen Ebene, womit eine gute Bodenleitfähigkeit gegeben ist, was für die Abstrahleigenschaften auch auf Kurzwelle vorteilhaft ist.

Die Sendeanlage entstand 1970/71 im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele in München 1972 und nimmt eine Fläche von rund 134 Hektar ein, die eingezäunt ist. Die eigentlichen Antennenanlagen beansprucht jedoch nur eine Fläche von 90 Hektar. Der Rest sind landwirtschaftliche genutzte Schutzzonen, auf denen jedoch 2013 großflächig Photovoltaikanlagen errichtet wurden. Die ursprüngliche Sendetechnik stammte von "AEG-Telefunken", die Antennentechnik kam von "Brown-Boveri". Am 10. April 1972 begann die "Deutsche Welle" mit Versuchssendungen über 4 Sender. Bis 1982 wurde die Anlage bis auf 10 Sender vom Typ Telefunken SV2500 ausgebaut. 1987/88 folgten 6 weitere Sender vom Typ Telefunken S4005.


Quelle: Wikimedia Commons, Autor: Vincent Schriel (Eigenes Werk) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]
Blick in die Senderhalle mit den 500 kW-Sendeeinheiten. Links der 2003 entwickelte DRM-taugliche 500 kW-Sender.

2003 wurde in einem Gemeinschaftsprojekt von T-Systems, Frauenhofer-Institut, Telefunken Sendertechnik und Radioindustry Zagreb der Prototyp eines DRM-tauglichen 500 kW-Senders mit der Bezeichnung S4050 entwickelt und aufgestellt, der in DRM mit 200 kW betrieben werden kann, was der Wirkung von ca. 800 kW AM-Leistung entspricht. 2008 wurden nach dem Verkauf der Sendestation Jülich (Ende 2010 abgerissen) 2 Sender vom Typ Telefunken S4001 (100 kW, Baujahr um 1990) nach Wertachtal verlegt. 2008 standen damit insgesamt 16 Sender (14 x 500 kW, 2 x 100 kW maximale Ausgangsleistung) zur Verfügung. Die 500 kW-Sender wurden jedoch vielfach auf Wunsch der Mieter zur Kosteneinsparung mit nur 250 kW oder 125 kW betrieben. Zudem wurden die 4 Sender vom Typ S4005 von der aufgelassenen Sendestation Zeewolde/Flevoland in den Niederlanden nach Wertachtal verlegt und 2 davon auch wieder betriebsbereit gemacht.

Die Anlage wurde bis Anfang 2008 von der "Deutschen Bundespost" und deren Rechtsnachfolgern, zuletzt "T-Systems" betrieben, ehe sie an die "Telediffusion du France" verkauft wurde, welche Wertachtal gemeinsam mit der Sendeanlage in Nauen bei Berlin unter der Gesellschaft "Media Broadcast GmbH" betreibt.

Am 31. Dezember 2006 beendete die "Deutsche Welle" ihre Kurzwellensendungen aus Wertachtal. Danach strahlte man nur mehr Programme für zahlreiche vor allem religiöse Programmveranstalter aus. Da auch diese Anbieter ihre Kurzwellen-Ausstrahlungen laufend verringern und damit ein kostendeckender Betrieb der großen Anlage nicht mehr möglich war, erfolgte im Laufe des April 2013 die Verlegung der Sendungen aus Wertachtal auf andere Standorte (Nauen, Issoudun/Frankreich, Moosbrunn/Österreich und Kostinbrod/Bulgarien) und damit die Stilllegung der mit Anfang Mai 2013, welche sich bald als endgültig herausstellte.


Die Antennenanlage bestand aus 3 Armen, die von der Sendezentrale ausgehen. Der westliche Arm war rund 600 m lang, die beiden anderen hatten jeweils etwa 1300 m Länge. An den 29 bis zu 125 m hohen Masten (19 hohe und 10 niedrigere Masten) waren insgesamt 60 Antennensysteme in Form sogenannter Vorhangantennen angebracht. Im Bild der westliche Arm, dahinter ein Teil des südlichen Arms. Die Antennen trugen Nummern, vom zentralen Sendergebäude weg gezählt: Nordarm 101-124, Südarm 201-223, Westarm 301-313.

Die Senderichtungen der Vorhang-Antennensysteme:

Anzahl Antennen-
 systeme

Pos. am Arm

Reihen/Ebenen
von Dipolen

Abstrahl-
richtung

Zielgebiete

3

Süd

1 x 4/4+4/1, 2 x 4/4

30°

Pazifik

1

Süd

1 x 1/2

55°

Europ. Russland

9

Süd

4 x 4/4+4/1, 4 x 4/4, 1 x 4/2

60°

Osteuropa, Russland, China, Ostasien

1

Süd

1 x 4/2

75°

Südrussland, Zentralasien

6

Nord

5 x 4/4, 1 x 4/1

90°

Kaukasus-Region, Indien, Südostasien, Australien

7

Nord

2 x 4/4+4/1, 3 x 4/4, 1 x 4/1

120°

Östl. Mittelmeer, Arabische Halbinsel

1

West

1 x 4/1

120°

Balkan, östl. Mittelmeer

6

West

6 x 4/4

150°

Ostafrika, Südafrika

3

Süd

3 x 4/4

210°

Westafrika

6

Süd

6 x 4/4

240°

Südamerika

5

Nord

5 x 4/4

270°

Nördl. Südamerika, Karibik

6

Nord

6 x 4/4

300°

Östl. Nordamerika, Mexiko

6

West

6 x 4/4

330°

Westl. Nordamerika


Blick aus Richtung Süden: Im Vordergrund ein Teil des südlichen Arms, im Hintergrund der nördliche Arm.


Die hier abgebildeten Vorhangantennen ganz im Süden strahlten nur nach Osten und wurden in einer späteren Ausbauphase errichtet.


Typische Anordnung der Dipole (grün, rot und violett) und des Reflektornetzes (lila).
Zwischen jeweils 2 Masten waren in den meisten Fällen 3 Antennensyst
eme aufgespannt, wobei eines für niedrigere Frequenzen und damit langen Dipolen auf der einen Seite gespannt war und zwei für höhere Frequenzen und damit kürzeren Dipolen auf der anderen Seite der Mastenfront gespannt waren. Dazwischen, also in etwa in der Achse der Mastenlinie, war jeweils ein Reflektornetz gespannt. 54 Antennensysteme bestanden aus jeweils 4 Reihen zu 4 Ebenen, womit ein für die Fernversorgung idealer Abstrahlwinkel von ca. 10° erreicht wurde. Der damit verbundene Antennengewinn betrug ca. 21 dB, womit sich bei 500 kW Senderausgangsleistung eine effektive Strahlungsleistung in die Senderichtung von ca. 63.000 kW ergab. Der Abstrahlwinkel wurde jedoch auch von der Höhe der untersten Dipolebene über Grund bestimmt. In Wertachtal waren Antennen mit einer Höhe von 0,3-, 0,5- und 0,8-facher Wellenlänge über Grund im Einsatz.
Die hier violett eingezeichnete Antennenanordnung hatte 5 Ebenen, wobei jedoch eine Ebene - in diesem Fall die 2. von unten - ein eigenes System mit einer Ebene zu 4 Dipolen darstellte, welches alternativ für die Nahversorgung verwendet werden konnte. In Wertachtal besaßen 7 Antennensysteme eine derartige zusätzliche Dipolebene.


Weitere 3 Antennensysteme besaßen 2 Ebenen (2 Systeme mit 4 Reihen, 1 System mit 1 Reihe) und erlaubten damit einen Abstrahlwinkel von ca. 20°. Am Bild eine Richtantenne für (vermutlich) 49 m mit 2 Reusendipolen übereinander (2 Ebenen zu 1 Reihe) mit Abstrahlrichtung 55° (Zielgebiet Russland).


Im Vordergrund ein Antennensystem mit 2 Ebenen zu 4 Reihe
n und Abstrahlrichtung 75° (Zielgebiet Südrussland und Zentralasien). Die abgedeckten "Rohre" im Vordergrund waren die Koaxialkabel zu den Antennen. Wegen der großen übertragenen Leistung von 500 kW handelte es sich dabei um Kabel mit einem Kupferrohr mit etwa 80 mm Durchmesser als leitendes Element innen, das mit Distanzhaltern in einem etwa 300 mm großen Kupferrohr verlief. Die Kabel waren mit trockener Luft mit geringem Überdruck gefüllt.


3 Vorhang-Antennensysteme besaßen nur eine Ebene mit 4 Faltdipolen, womit der Abstrahlwinkel mit ca. 45° für die gerichtete Versorgung europäischer Zielgebiete ideal war.


Vorhangantennen stellen einen idealen Kompromiss zwischen großer Richtwirkung und geringem Aufwand dar. Größter Nachteil ist die geringe Flexibilität.
Bei einer Vorhangantenne sind als Reusen (zur Erreichung einer größeren Bandbreite) ausgeführte Dipole (meist Faltdipole) neben- und übereinander angeordnet und an Seilen an den Tragmasten aufgehängt. Die Dipole haben eine Länge, die etwas weniger als die halben Wellenlänge der Mittelfrequenz beträgt, für welche die Antenne abgestimmt ist. Der Stockungsabstand und der seitliche Abstand der Dipole beträgt jeweils die halbe Wellenläng
e. Die Dipole erzielen die beste Wirkung auf jenem Band, auf das sie in ihrer Länge abgestimmt wurden. Mit entsprechender Abstimmeinrichtung ist jedoch ein Betrieb auch auf den 3 bis 4 benachbarten Bändern möglich.


Ein typischer gefalteter Reusendipol.


Bei den südlichen Vorhangantennen sowie offensichtlich später umgebauten Antennen fanden sich abweichend etwas einfachere 4-Draht-Reusen. Hier sind beiden Reusenarten zu sehen.


Das Prinzip der Signalanspeisung: Die Zuleitungen zu allen Dipolen einer Reihe sind gleich lang, damit sich die zugeführten Signalströme alle in der gleichen Phasenlage befinden. Andernfalls käme es zu einer gegenseitige
n Signalauslöschung. Die Aufteilung der Sendenergie auf die Dipolreihen mit notwendiger Umwandlung des Widerstandes erfolgte über Transformationsleitungen am Boden unterhalb der Antennen.


Die gleiche Zuleitungslänge erreicht man über „Umwege“, womit ein sehr verwirrendes Netzwerk aus Drähten, Seilen, Isolatoren und Streben zur Querübertragung entsteht.


Die Vorhangantennen und Reflektornetze werden am Boden montiert und dann an den Masten hoch gezogen, wofür die Masten Umlenkrollen und Seilzüge besitzen.


Durch phasenverschobene Anspeisung der Reihen ist es bei den meisten Antennen möglich, die Abstrahlrichtung um 15° oder 30° nach links und rechts zu verschwenken. Dazu dienten Phasenschieber, die sich in Kästen am Fuße der Antennen befanden.

Abseits des dreiarmigen Vorhang-Antennensystems standen im Süden und Westen des Geländes noch 7 Antennenanlagen für meist ungerichtete Abstrahlung zur Verfügung (1 separate Vorhangantenne mit einer Ebene zu 4 Dipolen, 1 logarithmisch-periodische Antenne und 5 Quadrantantennen, welche aus einem um 90° abgewinkelten Dipol bestanden und damit eine annähernd gleiche Abstrahlung in alle Richtungen ermöglichten).


4 Quadrantantennen standen im Westen des Geländes. Am Bild im Vordergrund eine Quadrantantenne für 49/41 m (Nr. 315), im Hintergrund links eine Quadrantantenne f
ür 31/25 m (Nr. 316), rechts eine für das 75 m-Band (Nr. 317). Hier nicht zu sehen ist eine weitere Quadrantantenne mit 2 Ebenen (stand hinter dem Wald rechts).


Die Quadrantantenne für das 75 m-Band (Nr. 317) wurde erst errichtet, als 1996 die Sendestation Jülich von der "Deutschen Welle" aufgegeben wurde.


Eine Quadrantantenne für 49/41 m mit 2 Ebenen (Nr. 314), womit der Abstrahlwinkel im Bereich 20 bis 45° an die Ausbreitungsbedingungen angepasst werden konnte. Über diese Antenne wurde einst hauptsächlich die traditionelle "Europa-Hausfrequenz" 6075 kHz des deutschen Programms der "Deutschen Welle" gesendet.


Eine weitere Quadrantantenne für 49/41 m (Nr. 226) stand im Süden des Geländes, das von Schafen beweidet wurde.


Eine horizontale logarithmisch-periodische Antenne (Nr. 224): 2 Dipolreihen bilden eine Fläche, wobei die Dipole auf der Gesamtlänge logarithmisch immer länger werden. Damit besitzt diese Antennenform eine große Bandbreite, jedoch keinen besonders hohen Wirkungsgrad. Der Abstrahlwinkel beträgt ca. 20°, die Abstrahlrichtung ist 210° (Algier).
Ursprünglich wurden in Wertachtal 5
logarithmisch-periodische Antennen errichtet. Nur die hier abgebildete blieb bis zuletzt bestehen.


Im äußersten Süden des Geländes befand sich eine separat stehende steil strahlende (Nr. 225; 1 Ebene zu 4 Dipolen, die in 2 Systeme zu je 2 Dipolen auseinander geschaltet werden konnten) Vorhangantenne mit Abstrahlrichtung 55° (Moskau). Diese Antenne wurde in einer späteren Ausbauphase errichtet.

Panoramaansicht der Sendeanlage aus dem Südwesten.


Blick auf den südlichen Arm, im Hintergrund der westliche Arm.


"Verdichtete" Antennentechnik.

letzte Änderung: 30.11.2014

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