Der Rundfunk Mitteleuropas im neuen Genfer Wellenplan


Auf 15 Langwellen gibt es 23 Megawatt-Sender - Auf fast jeder zweiten Mittelwelle arbeitet ein Megawattsender - Eine nüchterne Analyse
von Hermann Jäger (genannt der "Wellenjäger")
Wiedergabe eines Berichts aus der "Funkschau" 24/1978, Seite 1194-1197
In diesem zweiten Beitrag über den neuen Genfer Wellenplan von 1975 (vgl. Heft 23/1978, Seite 1141), der am 23. November in Kraft tritt, wollen wir die Rundfunksituation Mitteleuropas unter die Lupe nehmen - wie sie sich in diesem neuen Zuteilungsplan für Mittel- und Langwelle darbietet. Wir wollen zunächst ganz überblickhaft registrieren, was denn nun in die beiden Bereiche von Mittel- und Langwelle sozusagen „hineingepackt" wurde. Sodann wollen wir einige besonders kritische Punkte der künftigen MW- und LW-Skala beleuchten, von denen sich schon jetzt sagen lässt, dass sie sich als „dunkle Punkte" dieses Genfer Planes erweisen werden. Schließlich wollen wir - es wird leider nicht ohne Zahlen abgehen - Vergleiche zwischen Senderzahlen und Senderleistungen der alten und der neuen Plan-Situation anstellen... Kurz: Wir wollen prüfen, was den neuen Genfer Plan, mit dem wir voraussichtlich rund 10 Jahre werden „leben" müsse n- so hoffen es wenigstens seine Schöpfer - von seinem Vorgänger unterscheidet.
Senderzahl in Europa fast verdoppelt
Folgende sehr wichtige Feststellung ist für die Beurteilung des neuen Planes besonders bedeutsam: In Europa wird es im neuen Plan statt bisher rund l450 Sender künftig 2700 Sender geben. Ihre Gesamt-Sendeleistung von (bisher) 82.000 kW wird sich im neuen Plan auf 214.000 kW erhöhen. Und das bei einer gleich gebliebenen Zahl von Mittel- und Langwellen, im alten wie im neuen Plan. - Diese nüchternen Feststellungen sollte jeder Radiohörer sich in Erinnerung rufen, wenn er nach dem 23. November dieses Jahres auf der Skala seines Empfängers auf Sender- und Wellenjagd gehen will. Die beiden „Bänder", wenn der Ausdruck erlaubt ist, nämlich die Bereiche von MW und LW, sind nicht ,,mit gewachsen". Um aber in den Genfer Konferenzwochen von 1974 und 1975 möglichst viele der Wünsche befriedigen zu können, musste man - man kann es wahrlich nicht anders ausdrücken - „hineinpacken", was man nur hineinbekommen konnte. - Um es vorwegzunehmen: Nicht nur der Verfasser befürchtet, dass man hier des (gar nicht) „Guten zuviel getan hat"... Doch davon später mehr...
Auf Langwelle: 23 Megawattsender auf 15 Kanälen
Ist das Wort vom „Hineinpacken" übertrieben? Sicher nicht! Hier der Beweis: Für Langwellensender stehen im Genfer Plan 15 Kanäle (von 155 kHz bis 281 kHz, Abstand je 9 kHz) zur Verfügung. Auf diesen 15 Langwellen werden ab 23. November nicht weniger als 23 Sender mit Megawatt-Leistungen (also 1000 kW und mehr) arbeiten. Von diesen 23 Megawattsendern dürfen sogar 11 ganztägig mit einer Rundstrahl-Antenne arbeiten. Nicht nur das: Von den 23 Megawattsendern auf der LW können tagsüber sechs mit Leistungen von jeweils sogar 2000 kW arbeiten. Es sind dies die Sender Allouis (Frankreich), Warschau, Luxemburg, Moskau, „Europa l" und El Qusiya (Ägypten). - Wer auch nur ein einziges Mal in den letzten Jahren am Abend in den LW-Bereich hineingehört hat, der wird bestätigen, dass in diesem einst so interessanten Bereich des Fernempfanges innerhalb Europas seit Jahren nur noch ein Chaos der gegenseitigen Überlagerungen bestand. Bei weniger Sendern, mit geringeren Leistungen.
Mittelwelle: 120 Kanäle - 51 Megawattsender
Werfen wir, um beim Gesamt-Eindruck zu bleiben, gleich einen entsprechenden Blick auf die Mittelwelle. Hier stehen von 531 kHz bis l 602 kHz genau 120 Kanäle (sprich: Wellen) zur Verfügung; auch sie im Abstand von je 9 kHz. Ob der Leser es nun für möglich hält oder nicht: Auf diesen 120 Wellen werden ab 23. November sage und schreibe 51 Megawattsender arbeiten. Nahezu jeder zweite Kanal der MW ist also mit einem wahren Supersender „befrachtet". Von diesen 51 Megawattsendern auf der Mittelwelle werden fünf Leistungen von je 2000 kW haben. 18 Sender auf der MW werden Leistungen über 1000, aber unter 2000 kW haben (meist 1200 oder 1500 kW). Nicht weniger als 28 Sender auf der MW werden mit 1000 kW senden. Das sind - wie erwähnt - zusammen 51 Megawattsender auf 120 Wellen der Mittelwelle. Die fünf Sender mit der enormen Leistung von sogar 2000 kW sind übrigens: Solt (Ungarn, auf 540 kHz), Neubrandenburg (DDR, auf 657 kHz, abends nur 20 kW). Belgrad (auf 684 kHz), Rom (auf 846 kHz) und Mailand (auf 900 kHz). Alle fünf Sender erhielten übrigens die Erlaubnis, mit Rundstrahlantenne zu arbeiten, und zwar ganztägig! - Man muss wohl kein Experte für Abhör-Arbeiten auf Mittel- oder Langwelle sein, um zu ahnen, dass diese 51 Megawattsender auf 120 Mittelwellen (von der „Überfrachtung" der MW einmal ganz zu schweigen) zu einer bösen Überfülle von Kreuzmodulationen führen werden, jener auch oft „Luxemburg-Effekt" genannten Erscheinung, dass besonders starke Sender „unter" jedem anderen Sender „hindurchzuhören" sind. (So genannt übrigens, weil in den dreißiger Jahren der für die damalige Zeit enorm starke Sender Luxemburg, mit 200 kW, fast auf allen Wellen zu hören war.)
Leistungserhöhungen bis zu über 1000 Prozent!
Da wir einmal von hohen Leistungen sprechen: Hier eine Übersicht darüber, wie sehr die Gesamt-Sendeleistungen (im Vergleich zum Stand von 1974) für einige Länder erhöht wurden. Das Technische Zentrum der ,,EBU", dem wir diese Angaben verdanken, berichtete dazu in seiner Veröffentlichung „Tech. 3223-E" vom November 1977 folgende Vergleichszahlen: Albaniens Sender hatten 1974 eine Gesamt-Leistung von 1018 kW, künftig von 2461 kW. (Alle diese Zahlen sind auf den Nachtbetrieb bezogen.) Eine Steigerung also von 160 Prozent. Belgiens Sender hatten 1974 eine Gesamtleistung von 330 kW, künftig von 2150 kW. Steigerung: 552 Prozent. Finnlands Sender arbeiteten 1974 zusammen mit 473 kW, künftig mit 5675 kW. Eine Steigerung von sogar 1100 Prozent. Die in der Fläche sicher nicht große CSSR (127.870 qkm) hatte 1974 Sender mit einer Gesamtleistung von 1055 kW. Künftig werden es in der CSSR 9892 kW sein, eine Steigerung um 837 Prozent. Und die beiden Deutschland? Die Sender der Bundesrepublik hatten (ohne „Europa l") 1974 eine Gesamtleistung von 6794 kW, künftig eine solche von 8461 kW. Eine Steigerung um 27 Prozent. Die Sender der DDR hatten 1974 eine Gesamtleistung von 3675 kW, künftig von 4874 kW. Das ist eine Steigerung um 33 Prozent. Diese Zahlen mögen genügen, um zu zeigen, dass jeder sein Stück vom (vermutlich ungenießbaren) „Kuchen" in Genf bekam...
In Frequenzen nicht minder großzügig
Nicht nur in Kilowatt-Zuteilungen war man großzügig in Genf - auch in der Zuteilung von Frequenzen. Hier ein paar Beispiele. Das kleine Malta (384 qkm) darf künftig acht verschiedene Frequenzen benutzen. Holland (41.000 qkm) kann zwölf, Belgien (30.500 qkm) darf acht, Albanien (28.750 qkm) sogar 25 (!) verschiedene Frequenzen benutzen. Westdeutschland (mit einer fast 10-fachen Flache wie Albanien, nämlich 248.580 qkm) nimmt sich da mit seinen 30 Frequenzen ja ganz bescheiden aus. Die DDR (108.180 qkm) wird 18 verschiedene Wellen benutzen und die CSSR (127.870 qkm) wird 23 Frequenzen für ihren Rundfunk benutzen. - Auch diese Angaben beziehen sich übrigens - das ist wichtig zur Beurteilung des Planes - auf den Nachtbetrieb.
Seltsame Einzelentscheidungen

Lassen Sie uns nun, nach diesem Überblick über den Gesamtplan und seine Konzeption, einige Einzel-Betrachtungen zu bestimmten Wellen, zu bestimmten Ländern anstellen. Beginnen wir dazu mit der Langwelle. Wir hörten schon, dass auf nur 15 Kanälen 23 Megawattsender arbeiten werden. Ein besonders krasses Beispiel seltsa­mer Entscheidungen in diesem Plan scheint dem Verfasser die LW 182 kHz zu sein. Auf ihr werden arbeiten: Der Sender „Europa l" mit 2000kW, Richtstrahlantenne; der Sender Oranienburg der DDR mit 750 kW und Rundstrahlantenne; der Sender Ankara mit 1200kW und Rundstrahlantenne; der Sender Kiruna (Schweden) mit 600 kW und einer Richtstrahlantenne. - Frage: Was soll das an einem dunklen Winterabend werden?

Ein anderes Beispiel von der Langwelle: Auf der Welle 173 kHz darf der sowjetische Sender Kaliningrad (Königsberg) mit 1000 kW und einer Rundstrahlantenne ganztägig (also 24 Stunden) arbeiten. Die gleiche Welle darf auch Holland (das erstmalig eine LW erhielt) mit dem Sender Lopik, mit 500 kW und Richtstrahlantenne, benutzen. Auch hier ist doch zu fragen: Was soll das am Abend geben? Jeder Fachmann in Europa weiß doch, dass der Sender Kaliningrad der UdSSR der Sender für West-Europa-Sendungen der UdSSR ist. Hier hat doch Radio Moskau ein „Loch" gefunden, um auch auf der LW (zusätzlich zu vielen guten MW) besser nach Westeuropa zu kommen.

Betrachten wir - zur LW - noch diejenige von 236 kHz. Auf ihr werden die beiden UdSSR-Sender Kischinow und Leningrad, beide mit je 1000 kW und beide mit Rundstrahlantenne, arbeiten. Dazu der Sender Luxemburg mit 2000 kW und einer Richtstrahlantenne und der libysche Sender Jefren mit 1000 kW und einer Richtstrahlantenne. Dieser nur von 5.00-21.00 Uhr MEZ, die anderen 24 Stunden am Tag. Auch hier ist doch - mit Verlaub! - zu fragen: LW-Empfang am Abend? Funktionieren des Planes? Man lässt wohl besser alle Hoffnung fahren...

Zur Langwelle des DLF
Was unsere Langwelle der Bundesrepublik - 155 kHz - angeht, so muss sie ständig nach Südosten ausgeblendet bleiben, mit Rücksicht auf den Wellen-Mitbenutzer Brasov in Rumänien. Der DLF darf also nur (tags 500, nachts 250 kW) mit Richtstrahlung arbeiten. Der rumänische Sender Brasov und der norwegische Sender Tromsö (beide je 1200 kW) können dagegen ganztägig mit einer Rundstrahlantenne auf 155 kHz senden.
Kuriosa der Zuteilung auch auf MW
Wenden wir uns nun einigen Einzel-Betrachtungen im MW-Bereich zu, der auch eine Reihe von wahren Kuriosa an Zuteilungen aufzuweisen hat. Greifen wir die MW 738 kHz heraus. Auf ihr wird der spanische Sender Barcelona mit 500 kW und Rundstrahlung senden. In Israel darf der Sender Tel Aviv sogar mit 1200kW und Rundstrahlung auf dieser Welle arbeiten. Der Sender Posen (Polen) darf diese Welle mit sogar 1500 kW Leistung benutzen, aber nur mit Richtstrahlantenne. Schließlich wird auch der algerische Sender In Amenas mit 400 kW und Richtstrahlung auf 738 kHz arbeiten. Dies ist zwar - wegen der niedrigen Frequenz - keine gute Fernwirkungs-Nachtwelle (eine ausgesprochene Tageswelle), aber am Abend und im Winter wird's auch hier Komplikationen geben. Es gibt übrigens drei Mittelwellen im neuen Plan, auf denen mehr als ein Megawattsender arbeiten wird. Es sind dies die MW 549, 738 und 819 kHz. auf denen jeweils zwei Sender dieser hohen Leistung arbeiten, und zwar nur im Bereich Europa, von dem ja hier (nur) die Rede ist.
Kleine Länder - "groß" versorgt

Werfen wir nun einmal einen Blick auf einige bestimmte Länder und deren Versorgung mit Frequenzen, Sendern und Leistungs-Erlaubnissen. Hier ist - und das ist in keiner Weise politisch gemünzt - an erster Stelle in Europa die CSSR zu erwähnen, die geradezu gewaltige ..Beute" aus Genf nach Hause bringen konnte.

Ich bin mir mit meinen Lesern sicher darüber einig, dass ein Staatsgebiet wie die CSSR (127.870 qkm) mit vier oder fünf MW-Sendern mittlerer Leistung zu versorgen wäre. Da sie an ihren geographischen "Rändern" sehr gebirgig ist, müsste man ihr - unter normalen Hörunk-Verhältnissen in Europa - noch diesen oder jenen Kleinsender zubilligen. Was aber hat sie in Genf erhalten? Einen LW-Sender von 1500 kW (272 kHz), drei MW-Sender von je 1500 kW, zwei weitere MW-Sender von je 750 kW und noch einen MW-Sender von 600 kW. Übrigens: Sämtliche Sender der CSSR auf MW und LW können mit Rundstrahlung senden. Prag I auf 639 kHz mit 1500 kW, Prags Auslandsdienst auf 1287 kHz mit 1500 kW und Pressburg auf 1098 kHz auch mit 1500 kW. Brünn (954 kHz) und Prag III (1233 kHz) können mit je 750 kW und schließlich Kosice (1521 kHz) mit 600 kW arbeiten. Gesamtleistung der CSSR-Sender - wie schon kurz erwähnt - ab November 1978: 9892 kW. Eine Steigerung gegenüber 1974 von 837 Prozent.

Fünf Megawattsender für Polen

Ähnlich ist das Bild für Polen. Der Rundfunk dieses Landes erhält zwei Langwellen, eine für Warschau I mit 2000 kW (227 kHz) und Rundstrahlantenne und eine für Warschau III (200 kHz) mit 200 kW und ebenfalls Rundstrahlantenne. Auf der MW wird Polens Rundfunk nicht weniger als vier (!) Megawattsender betreiben dürfen. Es sind dies: Der Sender Posen auf 738 kHz mit 1500 kW, der Sender Warschau II auf 819 kHz mit ebenfalls 1500kW, der Sender Kattowitz auf 1080 kHz mit weiteren 1500 kW und der Auslandssender für Polen (Sender Stargard, 1503 kHz) mit 1000 kW. Nur der Sender Stargard hat eine Richtstrahl-Auflage; die anderen können rundstrahlen.

Ein Sprung - in der Länder-Betrachtung - nach Süden: Warum eigentlich - so ist doch wohl mal zu fragen - hat Italien drei Langwellensender bekommen? Selbst wenn man die geographische "Stiefel"-Form des Landes berücksichtigt, die rundfunkmäßig schlecht abzudecken ist - aber drei Langwellen?

Hier die Einzelheiten dazu. Der LW-Sender Severo darf mit 600 kW und einer Richtstrahlantenne auf 191 kHz senden, der LW-Sender Tuscania auf 245 kHz mit 300 kW und Richtstrahlung und der LW-Sender Caltanissetta auf 209 kHz mit 60 kW und (sogar) Rundstrahlung. Die Sender Rom und Mailand auf der Mittelwelle arbeiten (wir erwähnten es eingangs schon kurz) jeweils mit 2000 kW und Rundstrahlantenne, und das 24 Stunden am Tag; Rom auf 846 kHz und Mailand auf 900 kHz. Der Verfasser - langjähriger Abhör-Fachmann auf allen Wellen - wagt eine Prophezeiung: Mailand und Rom werden im neuen Plan zu den ganz wenigen Sendern gehören, die am Abend in ganz Europa gut zu hören sein werden. Sie haben sehr gut koordinierte Wellen bekommen.

Reiche Ausbeute für Spanien

Ein Wort nun zu Spanien und seiner - überaus reichen - Ausbeute in Genf. Dieses Land, das seit Jahrzehnten so etwas wie das "enfant terrible" im Rundfunk Europas war (es hat m .W. noch nie einen Wellenplan für Europa vor diesem unterzeichnet) und das immer als das klassische Land der Klein- und Kleinstsender zu betrachten war, hat aus Genf (dessen Plan es nun unterzeichnet hat) eine für dieses Land "stolze" Zuteilung mitgebracht.

Erstmalig erhält Spanien die Erlaubnis zum Betreiben von LW-Sendern. In Genf hat es gleich zwei zugeteilt bekommen: Für Madrid mit 1000 kW und Richtstrahlung die Welle 191 kHz, für die Sender Barcelona (800 kW, Richtstrahlung), Bilbao (400 kW, Richtstrahlung) sowie Linares (400 kW, Richtstrahlung) und Lugo (200 kW, Richtstrahlung) die LW 227 kHz, die auch Polen mit 2000 kW benutzt. Auf der MW darf Madrid auf 585 kHz mit 500 kW und Rundstrahlung senden, der Sender Barcelona auf 738 kHz mit 500 kW und Rundstrahlung und der Sender Figueras auf 1359 kHz sogar mit 1000 kW und Richtstrahlung. Man sieht, eine Zuteilung für Spanien, die diesem großflächigen Land sicher zu gönnen ist. Ob sie - diese Großzügigkeit - dem Plan im Ganzen bekommt...?

Ein Unrecht an der Schweiz
Auch von den Ergebnissen für die Schweiz muss an dieser Stelle gesprochen werden. Ihr ist - und das ist nicht nur des Verfassers Meinung - Unrecht geschehen. Ein so traditionsreicher Sender wie Beromünster wird am Abend völlig aus dem Äther verschwinden. Er darf nur bis 19.00 Uhr MEZ senden. Seine Welle wird nun ganz von dem algerischen Sender Ain Beda (Rundstrahlung und 600 kW bzw. nachts 300 kW) übernommen. Auch die anderen MW-Sender der Schweiz (Sottens, Monte Ceneri und Sarnen) dürfen sämtlich nur bis 1.00 Uhr MEZ senden und haben so schlecht koordinierte Wellen erhalten (Sarnen muss sich die Welle mit dem 1200 kW starken Sender Sfax in Tunesien teilen), das das Wort vom Unrecht an diesem traditionellen Rundfunkland nicht zu hoch gegriffen ist. Auch die Tatsache, das gerade die Schweiz in den rund 50 Jahren der Radiogeschichte immer wieder Gastgeber für internationale Funk-Konferenzen war, ist hier wahrlich schlecht „quittiert" worden.

In Liechtenstein "ging eine Tür auf"

Nachbar der Schweiz ist Liechtenstein. Dieses Land hat in Genf - man sollte es nicht übersehen oder unterbewerten - eine MW zugestanden bekommen (1386 kHz), auf der eine Leistung von 500 kW erlaubt ist, zwar nur mit Richtstrahlung, aber 24 Stunden am Tag. Hier ist, wenn der Vergleich erlaubt ist. „eine Tür aufgegangen". Warum? Seit Jahren ist man von den verschiedensten Seiten in Europa bemüht, in diesem kleinen Staat einen großen Werbesender zu errichten. Bisher hatte dieses Land keine eigene Funkhoheit, sie lag bei der Schweiz. Der neue Vertrag (von 1977) zwischen beiden Nachbarländern hat diese Funkhoheit für Liechtenstein ausdrücklich bestätigt. Der schweizerisch-liechtensteinische Vertrag sagt aber auch, dass der Rundfunk in diesem Kleinstaat sich - in Hinsicht auf Werbung im Funk - mit der Schweiz und ihren Werbe-Limits im Funk abstimmen muss. So weit, so gut. Doch: Nachdem nun dieses kleine Land eine Mittelwelle hat, auf der mit 500 kW gesendet werden darf, ist es wohl nur natürlich, dass (von wem auch immer) diese "Tür, die aufgegangen ist", um im Bild zu bleiben, auch mal genutzt wird.
Diesmal drei Gemeinschaftswellen
Ein Wort nun zu den „Internationalen Gemeinschaftswellen", die es seit Beginn des Rundfunks in Europa in jedem Wellenplan gegeben hat. Ihre Zahl betrug stets zwei auf der Gesamt-Mittelwelle. Im Kopenhagener Plan waren es, wie erinnerlich, die Wellen 1484 und 1594 kHz, die MW-Kanäle 107 und 120. Dieser unser neuer Genfer Plan von 1975 hat nun erstmalig drei Internationale Gemeinschaftswellen. Offizielle Bezeichnung: "Low Power Channels" (LPG). Die Bezeichnung sagt schon, das auf diesen Wellen nur Sender ganz geringer Leistung (im Falle des Genfer Planes nur bis l kW) senden dürfen. Als Wellen für diese drei LPCs wurden in Genf die Frequenzen 1485, 1584 min 1602 kHz gewählt. Auf diesen Wellen werden Hunderte und Aberhunderte von kleinen Lokalsendern (von maximal 1 kW Leistung) arbeiten. Die Gerechtigkeit erfordert die Feststellung dass nur mit solchen Gemeinschaftswellen Lokal-Versorgungen (meist aus geographischen Verhältnissen kompliziert) möglich sind. Diese LPCs muss es also geben und gab es in solchen Plänen (seit den Zwanzigern) schon immer. Ob es diesmal gleich drei sein mussten, darüber kann man wohl streiten. Denn soviel steht fest: Wenn diese Kanäle bei Tage auch ihren Sinn erfüllen (keine gegenseitigen Störungen), so sind diese Wellen am Abend doch eine Art Belastung im Wellenplan. Wer immer sie einstellt, und wo immer man sie einstellt: Sie sind ein grässliches "Gemisch" von Lärm, "Rundfunk" und eine Art "funkischer Ellbogenarbeit", wenn der Ausdruck erlaubt ist.
Grenzüberschreitung nur für den Osten?

Werfen wir bei der Prüfung des Genfer Planes von 1975 nun einmal einen nüchternen Blick auf diejenigen MW-und LW-Sender in Europa, die für ihre Funktion als Träger der Auslandsdienste in Fremdsprachen bekannt sind. Auf Sender also wie London und Paris im Westen, DLF und Europawelle in der Bundesrepublik, Moskau, Prag, Warschau usw. im Osten. Hier kann sich der Abhörfachmann bei kritischer und objektiver Prüfung des neuen Genfer Pla­nes nicht des Eindrucks erwehren, dass der Osten die wahrlich größere Beute eingebracht hat.

Dazu ein paar Beispiele. In der Bundesrepublik - wir erwähnten es schon in dem ersten Beitrag zu diesem Thema - haben nur die Europawelle der Saar und der DLF-Sender Mainflingen; durch sehr gut koordinierte Wellen) die echte Chance, bei Nacht europaweit gehört (und sauber empfangen) zu werden. Alle anderen Sender (auch Köln, Hamburg, München, SWF-Rheinsender usw.) der Bundesrepublik haben zwar die nötigen Leistungen - aber schlecht koordinierte Wellen. Auch für den Auslandsdienst der BBC London sieht es in dieser Hinsicht nicht gerade gut aus. Dort wird man ab 23. November für Europa auf 648 kHz (bisher Radio 3) und 1296 kHz (bisher schon Auslandsdienst) senden können. Im ersten Falle, so zeigt der gedruckte Genfer Plan, sogar nur mit 150 kW und im zweiten Falle wenigstens mit 500 kW. Bei über 2700 Sendern nur in Europa, auf 120 Mittel- und Langwellen, kann man sich die Chancen der BBC leicht ausrechnen. Sie werden gering sein.

Im Osten: Gut koordiniert und stärkste Leistungen

Ganz anders das Bild im Osten Europas. Wir erwähnten schon, dass die UdSSR auf der LW 173 kHz mit 1000 kW und Rundstrahlung im früheren Königsberg (Kaliningrad) senden darf - einem Senderstandort, den der Auslandsdienst Moskaus seit Jahrzehnten für Europasendungen benutzt. Von Prags wahren „Supersendern" auf MW und LW war schon die Rede. Auch hier: Gut koordinierte Wellen und Leistungen von 1000 und mehr Kilowatt. Auf dem Boden der DDR selbst erhält der Auslandsdienst Moskaus (in Nauen) einen Sender von tagsüber 1000 kW und nachts von 150 kW Leistung auf der gut koordinierten MW 1323 kHz. Von Kaunas aus (früher Kowno) kann Moskau mit 1000 kW und ganztägiger Rundstrahlung nach Westen senden. Auch die "Auslandswelle" von Warschau ist gut abgesichert im neuen Plan.

Auf 1503 kHz kann man von Stargard mit 1000 kW senden. Die gut koordinierten Wellen der DDR hatten wir schon im ersten Beitrag erwähnt.

Aus Nahost klingt vieles herüber
Sender und Wellen für Stationen in Nah- und Mittelost haben wir an dieser Stelle der "Genf-Betrachtung" nur ganz am Rande erwähnt. Ein Wort aber scheint - bei der Abwägung der Chancen dieses Planes - mehr als angebracht. Die Länder in diesem Teil der Welt werden eine ganze Fülle von wahren "Supersendern" betreiben können. Ob 1200 kW für Tel Aviv auf der Mittelwelle oder 2000 kW für den ägyptischen Sender El Qusiya auf der Langwelle - ob Megawattsender in der Türkei, im Irak, im Iran oder in Jordanien: Alle diese Sender (das lehrt die Erfahrung) sind am Abend auch in Europa zu hören. Man kann nur hoffen, dass alle diese Supersender ihre Antennen-Bestimmungen beachten und dass die Leistungs-Limits für die Nacht (hier wie dort) eingehalten werden.
Vor der Nacht kann einem bange werden...

Fassen wir unsere Betrachtungen noch einmal zusammen. Der neue Genfer Wellenplan für MW und LW ist ein Kompromiss und konnte wohl auch nur als solcher „geboren" werden. Zu viele Sender - für zu wenige Wellen. Ein so­zusagen idealer Plan konnte also gar nicht entstehen, eben weil - wie wir gesehen haben - die Zahl der Sender wuchs und wuchs, während die Zahl der Kanäle (seit Jahrzehnten) konstant blieb.

Einen „Schönheits-Fehler" aber muss man diesem Plan und seinen Konstrukteuren vorwerfen: Warum, um des Himmels willen, mussten denn so viele Super-Sender ihre internationale „Absegnung" in Genf erhalten? War das denn nötig? Wenn man doch nur 120 Mittelwellen hat, warum dann auf diesem kleinen Raum über 50 Sender mit Leistungen von 1000...2000 kW? Und auf ganzen 15 Langwellen 23 Mega­wattsender! Das kann doch nicht gut gehen - auch dann nicht, wenn alle Antennen-Bestimmungen eingehalten werden (was ja leider noch lange nicht sicher ist, wie die böse Erfahrung zeigt).

Mit anderen Worten: Der Genfer Plan von 1975 für MW und LW mag bei Tage (auch das ist ja noch nicht sicher) gewisse „Verbesserungen" bringen. Bei Nacht aber wird das Chaos auf MW und LW mit Sicherheit zunehmen. Das lehrt doch schon ein flüchtiger Blick auf Senderzahl und Sender-Leistungen dieses neuen Planes.

Was seit Jahren für die Kurzwelle gilt (mit der der Verfasser besonders vertraut ist), das gilt auch für die beiden Bereiche von Mittel- und Langwelle: Das Frequenz-Spektrum muss für alle (von KW über MW bis LW) neu geordnet werden, und zugleich müssen wir „runterkommen" von den Superleistungen in Kilowatt. Sie haben allen drei Bereichen in der Zeit seit den vierziger Jahren nur geschadet.

Wenn es eine Hoffnung gibt für das Radiohören in der Welt, dann nur diese: Möge die WARC 1979 in Genf das Spektrum für LW, MW und KW vernünftig, sinnvoll und den Erfordernissen entsprechend neu ordnen und - das ist beinahe noch wichtiger - endlich Leistungs-Limits nach oben einführen. Sollte beides in Genf 1979 nicht gelingen, dann werden wir alle drei Bereiche (LW, MW und KW) bald ganz abschrei­ben können. Dann aber bliebe uns nur noch die UKW. Diese aber wäre denn doch ein wenig - mit Verlaub - zu provinziell...

 
letzte Änderung: 28.12.2004

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